Nachdem die 6. Staffel meiner
Ansicht nach, mit Ausnahme des mißglückten Cliffhangers "Equinox II", bisher nur exzellente, sehr
gute und gute Episoden vorweisen konnte, war es wohl nur eine Frage der Zeit, daß dem
Aufstieg ein tiefer Fall folgen würde. Wie befürchtet schafft es "Das Geistervolk" durch einen unoriginellen Plot,
völlige Oberflächlichkeit, teilweise lächerliche Situationskomik, zahlreiche Fehler in
Bezug auf Wissenschaft & Technik und merkwürdige moralische Tendenzen sich als bisher
schlechteste Episode der Staffel zu etablieren. Es mag hart klingen, aber an manchen
Stellen ist die Episode wirklich der Gipfel des Blödsinns, und ein Schlag ins Gesicht
jedes intelligenten Zuschauers.
Schon die Grundidee von "Das
Geistervolk" ist kritikwürdig. Diese ist eigentlich nichts weiter als ein lahmer
Aufguß der klassischen Holodeck-Handlung, die mittlerweile wirklich zu oft (und in
weitaus besserer Form) zu sehen war: eine Holodeckfehlfunktion führt dazu, daß die
Kontrollen ausfallen und einige Besatzungsmitglieder in einem gefährlichen Szenario
gefangen sind. Dieses "gefährliche Szenario" ist in diesem Fall das Fair Haven
Holodeckprogramm, welches das "ländliche" Leben in einer irischen Kleinstadt
des 19. Jahrhunderts darstellt und uns bereits in der gleichnamigen Episode "Fair Haven" begeistern durfte. Schon damals hatte
ich angemerkt, daß dieses unglaublich langweilige und (ohne eine Wertung abgeben zu
wollen) anachronistische Programm wohl kaum die aufgeklärten, fortschrittlichen Menschen
des 24. Jahrhunderts interessieren dürfte, und selbst wenn, dann sicherlich nicht die gesamte
Crew (wie es ja sowohl damals als auch hier deutlich gezeigt wurde). Wo ist da die
Diversität, die Vielschichtigkeit von Star Trek geblieben? Was das holographische
Szenario in "Fair Haven" aber letztendlich noch akzeptabel
machte, war seine Verwendung als der symbolische "sichere Hafen im Sturm" - ein
simulierter idyllischer Fleck in der Heimat als Fluchtmöglichkeit vor den realen,
schweren Zeiten im fernen Deltaquadranten (ähnlich ist die Verwendung des Holodecks in
"Nacht" zu sehen). Jedoch hatte ich ergänzt,
daß Fair Haven einfach zu uninteressant und zu weit von der Science Fiction, die Star
Trek eigentlich darstellen sollte, entfernt ist, um in einer Episode zum Selbstzweck
verwendet zu werden. In "Fair
Haven" war das Szenario
nur Hintergrund bzw. Schauplatz für Janeways Liebesgeschichte, wobei ein zweiter
Handlungsstrang auf der Voyager spielte (der erwähnte "Sturm"), "Das
Geistervolk" jedoch macht es zum Schwerpunkt der Handlung, ohne das es eine
Nebengeschichte auf der Voyager gibt. Nicht nur das: soweit ich mich erinnere, hat keine
Holodeckepisode bisher so prominent auf dem Holodeck gespielt; es gibt es ein paar Szenen
auf der Brücke, im Maschinenraum, im Konferenzraum, die allesamt Fair Haven zum
Gegenstand haben, und sonst ist die ganze Geschichte in dem Programm angesiedelt. Letzten
Endes ist diese totale Fokussierung auf das Holodeckszenario wohl der Grund, wieso die
Geschichte so verdammt langweilig und Star Trek-untypisch erscheint. Trotzalledem sehe ich
dies nicht als den Hauptgrund für das Scheitern von "Das Geistervolk" an. Es
ist die völlige Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit der Episode, das Fehlen eines
tieferen Themas oder einer moralischen Diskussion, die Weigerung der Autoren, auch nur
für ein Geschehnis in der Folge plausible, nachvollziehbare Gründe anzubringen.
Betrachte ich das Gesamtbild der Episode, habe ich wirklich das Gefühl, das sämtliche
Gehirnfunktionen bei der Verfassung des Drehbuchs auf Null waren. Das fängt schon beim
"Offene Tür Protokoll" an. Dieses wurde in "Fair Haven" eingeführt, um das Programm in den
besagten schweren Zeiten zur jederzeit verfügbaren Zufluchtsstätte zu machen. Aber wieso
wird das Protokoll hier immer noch praktiziert? Keine Erklärung. Dann können die
Holofiguren plötzlich "über den Tellerrand" ihrer simulierten Welt
hinausschauen und die wahre Natur der Voyager und ihrer Crew erkennen. In Bezug auf diese
Thematik erscheint die Episode wie eine schlechte Kopie der großartigen TNG-Folge "Sherlock Data Holmes", doch ist die Erforschung der
Ursachen in diesem Fall eher nebensächlich. War es damals - äußerst raffiniert - ein
gezielter, wenn auch unglücklich formulierter Befehl eines Crewmitglieds, der der
Marionette Leben einhauchte (was zugleich die Allmacht der Computer im 24. Jahrhundert in
einem interessanten Licht darstellte), dient hier die ständige Aktivierung des Szenarios,
welche zu Fehlfunktionen führte, als nur zu bequeme Erklärung. Also wenn man eine
Holodeckfigur über einen langen Zeitraum ununterbrochen aktiviert läßt, häufen sich
Programmfehler, auf der anderen Seite erlangt sie aber Bewußtsein? Die zweifelhafte
Erklärung der Episode: Holodeckfiguren haben von vorn herein und scheinbar unabhängig
von ihrer Programmsteuerung Bewußtsein (was technisch unmöglich ist, sonst könnte man
ja mit Replikatoren Lebewesen herstellen), und nur spezielle Protokolle, die hier
ausgefallen sind, verhindern eine Erkennung der "Wahrheit". Nicht nur
widerspricht dies allen vorangegangenen Holodeckepisoden, sondern auch der etablierten
Funktionsweise der Holotechnologie. Eine Holodeckfigur ist nur so intelligent, wie ihr
Programm es festlegt! Ohne ein Programm ist eine Holodeckfigur nichts weiter als ein Bild,
das weder denken noch laufen noch sprechen kann. So wird nur zu deutlich ersichtlich, daß
die Autoren keine Ahnung von Computern haben, wenn Holodeckszenarien als etwas
einzigartiges, nicht reproduzierbares dargestellt werden, als eine Ansammlung von Photonen
im Holodeckpuffer statt Bits und Bytes im Computerspeicher. Das ganze ist doch im
Endfeffekt nichts weiter als eine dreidimensionale, interaktive
"Fernsehsendung", die jederzeit erschaffen und zerstört werden kann, da sie ja
auf Basis der in Programmen gespeicherten Anweisungen durch Holoprojektoren temporär und dynamisch
aufgebaut wird! Also wieso sollte Fair Haven verschwinden, wenn man das Hologitter
gewaltsam "herunterfährt"? Die augenblickliche Instanz, aus Photonen
und Kraftfeldern bestehend, geht natürlich verloren, aber das zugrundeliegende Programm
ist doch noch verfügbar! Dieser grundlegende Fehler stellt auch in vielen anderen
Voyager-Episoden ein großes Problem dar, doch noch nie war der fatale Irrtum so
offensichtlich wie hier. Noch schlimmer als die Fehlerhaftigkeit dieser Prämisse ist
jedoch die daraus erwachsende, völlig fehlerhafte Moral (die natürlich angesichts der
grundlegenden Unsinnigkeit noch hirnrissiger erscheint): Was wiegt schwerer - die
holographischen "Leben" in "Fair Haven" oder die Leben zweier
Crewmitglieder? Allein daß die Frage debattiert wird (Captain Janeway: "Die Leute in
Fair Haven mögen nicht echt sein, aber unsere Gefühle sind es."), läßt einen doch
am Verstand der Autoren zweifeln. Nur B'Elanna Torres darf in "Das Geistervolk"
eine vernünftige, intelligente Position einnehmen: nicht nur, daß sie die "Offene
Tür"-Politik mit verordnetem "Fair Haven Frohsinn für Jedermann"
verurteilt, sie weist auch darauf hin: "Michael kann neu programmiert werden
- Tom und Harry jedoch nicht." Das die Episode sich hier und in anderen Fällen quasi
selber widerlegt, beweist doch ihr Scheitern recht eindeutig. Ein anderer Kritikpunkt in
Sachen Anstand und Moral ist die sehr arrogante Sichtweise der "ländlichen"
Lebensweise in Fair Haven. War die Einfachheit und fast naive Idylle des Irlands des 19.
Jahrhunderts (so unrealistisch das schon alleine sein mag) für die Crew in "Fair Haven" noch eine angenehme Abwechslung von
dem Streß und der Kompliziertheit ihres Daseins, scheint es hier allein dazu dienen, sich
abzureagieren, allerlei Unsinn zu fabrizieren und sich über die Dummheit der Leute zu
amüsieren. Dieses Eindrucks konnte ich mich jedenfalls nicht erwehren, so wie die
Abergläubigkeit und das (nachvollziehbare) Unverständnis der Leute in Bezug auf die
"übernatürlichen Phänomene" dargestellt wurde. Klar, "Fair Haven"
dient hier nicht als historischer Exkurs oder soziologisches Experiment (wie das
"Capain Proton" Szenario in "Nacht"),
da "Das Geistervolk" in erster Linie als Komödie gemeint ist (angesichts des
Fehlens jeder ernsthaften Grundlage, jedes Tiefgangs bleibt ja auch nur diese
Möglichkeit), doch auch in dieser Beziehung kann die Episode meiner Meinung nach nicht
überzeugen. Wie das ganze Szenario scheint auch der Humor aus dem 19. Jahrhundert zu
stammen. Was ist an einer Kuh in einer Kirche so witzig? Oder an den "religiösen
Scherzen" des Doktors, den man kurzerhand zum Pastor gemacht hat? Ist dies die Art
und Weise, wie man das Thema "Religion" in Star Trek behandeln sollte? Da wird
klar, daß man man gut daran getan hat, es bisher überhaupt nicht zu behandeln (zumindest
bei "Star Trek: Voyager"). Religion im heutigen Sinne mag in Roddenberrys
Föderation des 24. Jahrhunderts nicht überlebt haben, und man mag auch bereits im 21.
Jahrhundert die Rolle, die der spirituelle Glaube im Leben mancher Menschen einnimmt und
die Weise, auf die er sie beeinflußt und entmündigt, kritisieren, doch hat man deshalb
das Recht, auf derart gedankenlose und unkonstruktive Weise darüber herzuziehen? Das ist
nicht die übliche Star Trek Toleranz, gepaart mit einer schlimmen Doppelmoral, die etwa
am Fehlen jedweder religiöser Symbole in der Kirche ersichtlich wird (wenn wir schon
Religion einbeziehen, dann aber doch konsequent!). Es gibt einige Beispiele für eine
echte Diskussion von Religion und Spiritualität bei "Star Trek: Deep Space Nine", während es ebenso weitere Formen
des Mißbrauchs des Themas gibt (etwa in Form des Fantasy-getränkten "Gut gegen
Böse" Konflikts mit Geistern und Zauberbüchern und ähnlichem Humbug im Finale der
Schwesterserie). Die Reihe der Probleme und Fehler in "Das Geistervolk" ließe
sich noch eine ganze Weile fortsetzen, so daß nur noch die zwei Tiefpunkte der Episode
genannt werden sollen: einmal die Szene, in der die aufgebrachten Bewohner von Fair Haven
Harry und Tom an einen Stuhl gefesselt haben (unwillkürlich werden Erinnerungen an das
noch grauenhaftere "Die
neue Identität" wach) und
es schaffen, die Technologie des 24. Jahrhunderts zu manipulieren: nicht wie Prof.
Moriarty in "Sherlock Data
Holmes" durch einen
überlegenen Intellekt, durch sein unglaubliches Genie - denn "Das Geistervolk"
hat ja den ach so begrenzten Verstand der damaligen Menschen deutlich genug hervorgehoben
- sondern mittels roher Gewalt, bzw. durch Einsatz holographischer Waffen. Ein
Schuß auf eine Kontrollkonsole, und schon wird ein Großteil der aktiven Holomatrix
beschädigt und fällt die gesamte Benutzersteuerung des Holodecks sowie die
Sicherheitssperren aus. Ist das nicht Schwachsinn hoch drei? Okay, die Autoren sind davon
ausgegangen, daß die vorher noch aktivierten Sicherheitsprotokolle ausschließlich
Menschen schützen (wieder ausgehend von der Grundüberlegung, daß eine Holosimulation
eine hunderprozentig exakt simulierte Realität ist, die nur durch Zusatzprotokolle
"abgeschwächt" wird), während Gegenstände - ob nun real oder simuliert -
wirklich beschädigt werden können, aber wieso sollten die Konstrukeure dann nicht auch
die Holokontrollen mit in ihre Schutzüberlegungen einbezogen haben, wenn so leichte
Beschädigungen so verheerende Folgen haben? Der zweite Fall ist fast noch lachhafter: der
ebenfalls gefangengenommene Doktor kann von den Fair Haven Bewohnern hypnotisiert werden
und verrät die Crew und die Voyager. Erklärung für diesen unwahrscheinlichen Fall: sein
mobiler Emitter wurde ihm abgenommen, und er wurde in die Fair Haven Matrix integriert.
"Er ist verwundbar." sagt Janeway. Also wieder der gleiche unsinnige
Ausgangspunkt: der Doktor wird als ein zwar auf holographischem statt auf biologischem
Wege erzeugtes, aber doch reales Wesen angesehen, daß vollständig in das Szenario
aufgenommen wurde und damit den gleichen Beschränkungen unterliegt (erst als er den
Emitter zurückbekommt, wird sich der Doktor seiner wahren Identität wieder bewußt).
Nicht nur, daß dies wiederum allen vorherigen Episoden widerspricht, in denen der Doktor
aufs Holodeck transferiert wurde, es ergibt auch keinen Sinn. Die Projektion des
physischen Erscheinungsbildes (d.h. die "Ausführung des Programmcodes" in der
Computer-Analogie) des Doktors wird vom Holodeck übernommen, wenn er transferiert wird,
aber sein Programm bleibt doch autonom und "unverwundbar", egal, ob es nun in
den Speichern des Emitters, der Krankenstation oder des Holodecks liegt!
Einzig und allein die Szenen zwischen Janeway und Michael (der in dieser Episode das
Pendant zu B'Elanna ist, da er der einzige im Fair Haven Szenario zu sein scheint, der
über Verstand zu verfügt) funktionieren für mich in "Das Geistervolk" und
machen einen kleinen Teil des enormen Schadens wieder wett, den die Episode sowohl in
Bezug auf Moral im 24. Jahrhunderts als auch Star Trek Wissenschaft (mal vom guten
Geschmack abgesehen) anrichtet. Die letzten fünf Minuten, in denen Michael auf der
Brücke erscheint und sich der Wirklichkeit bewußt wird, in denen er von Janeway durchs
Schiff geführt wird und in welchen es letztendlich zu einer schönen, Star Trek typischen
freundschaftlichen Übereinkunft zwischen den "Raumfahrern aus der Zukunft" und
den Bewohnern von Fair Haven kommt, sind wirklich bemerkenswert und erinnerungswürdig,
aber sie können 37 Minuten gezwungen wirkende, mit Unsinn angereicherte Komödie nicht
ausgleichen.
Am Ende bleibt nur zu hoffen, daß "Das Geistervolk", wahrscheinlich Bryan
Fullers schlechtestes Drehbuch, ein einmaliger Ausrutscher in dieser Staffel bleibt, und
daß der Autorenstab daraus gelernt hat.
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