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136. Das Geistervolk



Allgemeines
Originaltitel Spirit Folk
Produktionsnummer 237
Erstausstrahlung USA 23.02.2000
Erstausstrahlung BRD 2001
 
Regie David Livingston
Drehbuch Bryan Fuller
 
Story
Tom Paris hat in der "Fair Haven" Simulation mit seinem holographischen Wagen einen Unfall gebaut. Er versichert Seamus, der ihm zu Hilfe eilt, daß ihm nichts fehlt. Als Seamus sich wieder auf den Weg gemacht hat, befiehlt er dem Computer, den Wagen, dem ein Rad fehlt, zu reparieren. Zu seinem Erstaunen dreht sich der Bewohner um, als er die Computerbestätigung hört, und nimmt die holographische Wiederherstellung war. Dieses mysteriöse Ereignis macht Seamus mißtrauisch und veranlaßt ihn, über die Veränderungen im Dorf seit der Ankunft der "Fremden" nachzudenken - er befürchtet, daß mit Fair Haven ähnliches wie mit der Nachbarstadt Kilmanin passiert, die Besucher aufnahm und kurz darauf spurlos verschwunden ist. Abergläubisch wie er ist, vermutet er, daß sie einem Geistervolk angehören und mit ihrer Zauberei Unheil über die Stadt bringen werden. Die anderen Bewohner wollen Seamus phantastischen Geschichten nicht Recht Glauben schenken, doch werden ebenfalls mißtrauisch, als sie Geschichten von merkwürdigen Vorkommnissen mit den Fremden zusammentragen, die verschwinden und aus dem Nichts auftauchen, das Wetter verändern und "unheilige" Magie anwenden ...
 
Darsteller
Michael Sullivan Fintan McKeown
Seamus Richard Riehle
Milo Ian Abercrombie
Doktor Ian Patrick Williams
Maggie Henriette Ivanans
Grace Duffie McIntire
Edith Bairbe Dowling
 
Bewertung
Nachdem die 6. Staffel meiner Ansicht nach, mit Ausnahme des mißglückten Cliffhangers "Equinox II",  bisher nur exzellente, sehr gute und gute Episoden vorweisen konnte, war es wohl nur eine Frage der Zeit, daß dem Aufstieg ein tiefer Fall folgen würde. Wie befürchtet schafft es "Das Geistervolk" durch einen unoriginellen Plot, völlige Oberflächlichkeit, teilweise lächerliche Situationskomik, zahlreiche Fehler in Bezug auf Wissenschaft & Technik und merkwürdige moralische Tendenzen sich als bisher schlechteste Episode der Staffel zu etablieren. Es mag hart klingen, aber an manchen Stellen ist die Episode wirklich der Gipfel des Blödsinns, und ein Schlag ins Gesicht jedes intelligenten Zuschauers.
Schon die Grundidee von "Das Geistervolk" ist kritikwürdig. Diese ist eigentlich nichts weiter als ein lahmer Aufguß der klassischen Holodeck-Handlung, die mittlerweile wirklich zu oft (und in weitaus besserer Form) zu sehen war: eine Holodeckfehlfunktion führt dazu, daß die Kontrollen ausfallen und einige Besatzungsmitglieder in einem gefährlichen Szenario gefangen sind. Dieses "gefährliche Szenario" ist in diesem Fall das Fair Haven Holodeckprogramm, welches das "ländliche" Leben in einer irischen Kleinstadt des 19. Jahrhunderts darstellt und uns bereits in der gleichnamigen Episode "Fair Haven" begeistern durfte. Schon damals hatte ich angemerkt, daß dieses unglaublich langweilige und (ohne eine Wertung abgeben zu wollen) anachronistische Programm wohl kaum die aufgeklärten, fortschrittlichen Menschen des 24. Jahrhunderts interessieren dürfte, und selbst wenn, dann sicherlich nicht die gesamte Crew (wie es ja sowohl damals als auch hier deutlich gezeigt wurde). Wo ist da die Diversität, die Vielschichtigkeit von Star Trek geblieben? Was das holographische Szenario in "Fair Haven" aber letztendlich noch akzeptabel machte, war seine Verwendung als der symbolische "sichere Hafen im Sturm" - ein simulierter idyllischer Fleck in der Heimat als Fluchtmöglichkeit vor den realen, schweren Zeiten im fernen Deltaquadranten (ähnlich ist die Verwendung des Holodecks in "Nacht" zu sehen). Jedoch hatte ich ergänzt, daß Fair Haven einfach zu uninteressant und zu weit von der Science Fiction, die Star Trek eigentlich darstellen sollte, entfernt ist, um in einer Episode zum Selbstzweck verwendet zu werden. In "Fair Haven" war das Szenario nur Hintergrund bzw. Schauplatz für Janeways Liebesgeschichte, wobei ein zweiter Handlungsstrang auf der Voyager spielte (der erwähnte "Sturm"), "Das Geistervolk" jedoch macht es zum Schwerpunkt der Handlung, ohne das es eine Nebengeschichte auf der Voyager gibt. Nicht nur das: soweit ich mich erinnere, hat keine Holodeckepisode bisher so prominent auf dem Holodeck gespielt; es gibt es ein paar Szenen auf der Brücke, im Maschinenraum, im Konferenzraum, die allesamt Fair Haven zum Gegenstand haben, und sonst ist die ganze Geschichte in dem Programm angesiedelt. Letzten Endes ist diese totale Fokussierung auf das Holodeckszenario wohl der Grund, wieso die Geschichte so verdammt langweilig und Star Trek-untypisch erscheint. Trotzalledem sehe ich dies nicht als den Hauptgrund für das Scheitern von "Das Geistervolk" an. Es ist die völlige Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit der Episode, das Fehlen eines tieferen Themas oder einer moralischen Diskussion, die Weigerung der Autoren, auch nur für ein Geschehnis in der Folge plausible, nachvollziehbare Gründe anzubringen. Betrachte ich das Gesamtbild der Episode, habe ich wirklich das Gefühl, das sämtliche Gehirnfunktionen bei der Verfassung des Drehbuchs auf Null waren. Das fängt schon beim "Offene Tür Protokoll" an. Dieses wurde in "Fair Haven" eingeführt, um das Programm in den besagten schweren Zeiten zur jederzeit verfügbaren Zufluchtsstätte zu machen. Aber wieso wird das Protokoll hier immer noch praktiziert? Keine Erklärung. Dann können die Holofiguren plötzlich "über den Tellerrand" ihrer simulierten Welt hinausschauen und die wahre Natur der Voyager und ihrer Crew erkennen. In Bezug auf diese Thematik erscheint die Episode wie eine schlechte Kopie der großartigen TNG-Folge "Sherlock Data Holmes", doch ist die Erforschung der Ursachen in diesem Fall eher nebensächlich. War es damals - äußerst raffiniert - ein gezielter, wenn auch unglücklich formulierter Befehl eines Crewmitglieds, der der Marionette Leben einhauchte (was zugleich die Allmacht der Computer im 24. Jahrhundert in einem interessanten Licht darstellte), dient hier die ständige Aktivierung des Szenarios, welche zu Fehlfunktionen führte, als nur zu bequeme Erklärung. Also wenn man eine Holodeckfigur über einen langen Zeitraum ununterbrochen aktiviert läßt, häufen sich Programmfehler, auf der anderen Seite erlangt sie aber Bewußtsein? Die zweifelhafte Erklärung der Episode: Holodeckfiguren haben von vorn herein und scheinbar unabhängig von ihrer Programmsteuerung Bewußtsein (was technisch unmöglich ist, sonst könnte man ja mit Replikatoren Lebewesen herstellen), und nur spezielle Protokolle, die hier ausgefallen sind, verhindern eine Erkennung der "Wahrheit". Nicht nur widerspricht dies allen vorangegangenen Holodeckepisoden, sondern auch der etablierten Funktionsweise der Holotechnologie. Eine Holodeckfigur ist nur so intelligent, wie ihr Programm es festlegt! Ohne ein Programm ist eine Holodeckfigur nichts weiter als ein Bild, das weder denken noch laufen noch sprechen kann. So wird nur zu deutlich ersichtlich, daß die Autoren keine Ahnung von Computern haben, wenn Holodeckszenarien als etwas einzigartiges, nicht reproduzierbares dargestellt werden, als eine Ansammlung von Photonen im Holodeckpuffer statt Bits und Bytes im Computerspeicher. Das ganze ist doch im Endfeffekt nichts weiter als eine dreidimensionale, interaktive "Fernsehsendung", die jederzeit erschaffen und zerstört werden kann, da sie ja auf Basis der in Programmen gespeicherten Anweisungen durch Holoprojektoren temporär und dynamisch aufgebaut wird! Also wieso sollte Fair Haven verschwinden, wenn man das Hologitter gewaltsam "herunterfährt"? Die augenblickliche Instanz, aus Photonen und Kraftfeldern bestehend, geht natürlich verloren, aber das zugrundeliegende Programm ist doch noch verfügbar! Dieser grundlegende Fehler stellt auch in vielen anderen Voyager-Episoden ein großes Problem dar, doch noch nie war der fatale Irrtum so offensichtlich wie hier. Noch schlimmer als die Fehlerhaftigkeit dieser Prämisse ist jedoch die daraus erwachsende, völlig fehlerhafte Moral (die natürlich angesichts der grundlegenden Unsinnigkeit noch hirnrissiger erscheint): Was wiegt schwerer - die holographischen "Leben" in "Fair Haven" oder die Leben zweier Crewmitglieder? Allein daß die Frage debattiert wird (Captain Janeway: "Die Leute in Fair Haven mögen nicht echt sein, aber unsere Gefühle sind es."), läßt einen doch am Verstand der Autoren zweifeln. Nur B'Elanna Torres darf in "Das Geistervolk" eine vernünftige, intelligente Position einnehmen: nicht nur, daß sie die "Offene Tür"-Politik mit verordnetem "Fair Haven Frohsinn für Jedermann" verurteilt, sie weist auch darauf hin: "Michael kann neu programmiert werden - Tom und Harry jedoch nicht." Das die Episode sich hier und in anderen Fällen quasi selber widerlegt, beweist doch ihr Scheitern recht eindeutig. Ein anderer Kritikpunkt in Sachen Anstand und Moral ist die sehr arrogante Sichtweise der "ländlichen" Lebensweise in Fair Haven. War die Einfachheit und fast naive Idylle des Irlands des 19. Jahrhunderts (so unrealistisch das schon alleine sein mag) für die Crew in "Fair Haven" noch eine angenehme Abwechslung von dem Streß und der Kompliziertheit ihres Daseins, scheint es hier allein dazu dienen, sich abzureagieren, allerlei Unsinn zu fabrizieren und sich über die Dummheit der Leute zu amüsieren. Dieses Eindrucks konnte ich mich jedenfalls nicht erwehren, so wie die Abergläubigkeit und das (nachvollziehbare) Unverständnis der Leute in Bezug auf die "übernatürlichen Phänomene" dargestellt wurde. Klar, "Fair Haven" dient hier nicht als historischer Exkurs oder soziologisches Experiment (wie das "Capain Proton" Szenario in "Nacht"), da "Das Geistervolk" in erster Linie als Komödie gemeint ist (angesichts des Fehlens jeder ernsthaften Grundlage, jedes Tiefgangs bleibt ja auch nur diese Möglichkeit), doch auch in dieser Beziehung kann die Episode meiner Meinung nach nicht überzeugen. Wie das ganze Szenario scheint auch der Humor aus dem 19. Jahrhundert zu stammen. Was ist an einer Kuh in einer Kirche so witzig? Oder an den "religiösen Scherzen" des Doktors, den man kurzerhand zum Pastor gemacht hat? Ist dies die Art und Weise, wie man das Thema "Religion" in Star Trek behandeln sollte? Da wird klar, daß man man gut daran getan hat, es bisher überhaupt nicht zu behandeln (zumindest bei "Star Trek: Voyager"). Religion im heutigen Sinne mag in Roddenberrys Föderation des 24. Jahrhunderts nicht überlebt haben, und man mag auch bereits im 21. Jahrhundert die Rolle, die der spirituelle Glaube im Leben mancher Menschen einnimmt und die Weise, auf die er sie beeinflußt und entmündigt, kritisieren, doch hat man deshalb das Recht, auf derart gedankenlose und unkonstruktive Weise darüber herzuziehen? Das ist nicht die übliche Star Trek Toleranz, gepaart mit einer schlimmen Doppelmoral, die etwa am Fehlen jedweder religiöser Symbole in der Kirche ersichtlich wird (wenn wir schon Religion einbeziehen, dann aber doch konsequent!). Es gibt einige Beispiele für eine echte Diskussion von Religion und Spiritualität bei "Star Trek: Deep Space Nine", während es ebenso weitere Formen des Mißbrauchs des Themas gibt (etwa in Form des Fantasy-getränkten "Gut gegen Böse" Konflikts mit Geistern und Zauberbüchern und ähnlichem Humbug im Finale der Schwesterserie). Die Reihe der Probleme und Fehler in "Das Geistervolk" ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen, so daß nur noch die zwei Tiefpunkte der Episode genannt werden sollen: einmal die Szene, in der die aufgebrachten Bewohner von Fair Haven Harry und Tom an einen Stuhl gefesselt haben (unwillkürlich werden Erinnerungen an das noch grauenhaftere "Die neue Identität" wach) und es schaffen, die Technologie des 24. Jahrhunderts zu manipulieren: nicht wie Prof. Moriarty in "Sherlock Data Holmes" durch einen überlegenen Intellekt, durch sein unglaubliches Genie - denn "Das Geistervolk" hat ja den ach so begrenzten Verstand der damaligen Menschen deutlich genug hervorgehoben - sondern mittels roher Gewalt, bzw. durch Einsatz holographischer Waffen. Ein Schuß auf eine Kontrollkonsole, und schon wird ein Großteil der aktiven Holomatrix beschädigt und fällt die gesamte Benutzersteuerung des Holodecks sowie die Sicherheitssperren aus. Ist das nicht Schwachsinn hoch drei? Okay, die Autoren sind davon ausgegangen, daß die vorher noch aktivierten Sicherheitsprotokolle ausschließlich Menschen schützen (wieder ausgehend von der Grundüberlegung, daß eine Holosimulation eine hunderprozentig exakt simulierte Realität ist, die nur durch Zusatzprotokolle "abgeschwächt" wird), während Gegenstände - ob nun real oder simuliert - wirklich beschädigt werden können, aber wieso sollten die Konstrukeure dann nicht auch die Holokontrollen mit in ihre Schutzüberlegungen einbezogen haben, wenn so leichte Beschädigungen so verheerende Folgen haben? Der zweite Fall ist fast noch lachhafter: der ebenfalls gefangengenommene Doktor kann von den Fair Haven Bewohnern hypnotisiert werden und verrät die Crew und die Voyager. Erklärung für diesen unwahrscheinlichen Fall: sein mobiler Emitter wurde ihm abgenommen, und er wurde in die Fair Haven Matrix integriert. "Er ist verwundbar." sagt Janeway. Also wieder der gleiche unsinnige Ausgangspunkt: der Doktor wird als ein zwar auf holographischem statt auf biologischem Wege erzeugtes, aber doch reales Wesen angesehen, daß vollständig in das Szenario aufgenommen wurde und damit den gleichen Beschränkungen unterliegt (erst als er den Emitter zurückbekommt, wird sich der Doktor seiner wahren Identität wieder bewußt). Nicht nur, daß dies wiederum allen vorherigen Episoden widerspricht, in denen der Doktor aufs Holodeck transferiert wurde, es ergibt auch keinen Sinn. Die Projektion des physischen Erscheinungsbildes (d.h. die "Ausführung des Programmcodes" in der Computer-Analogie) des Doktors wird vom Holodeck übernommen, wenn er transferiert wird, aber sein Programm bleibt doch autonom und "unverwundbar", egal, ob es nun in den Speichern des Emitters, der Krankenstation oder des Holodecks liegt!
Einzig und allein die Szenen zwischen Janeway und Michael (der in dieser Episode das Pendant zu B'Elanna ist, da er der einzige im Fair Haven Szenario zu sein scheint, der über Verstand zu verfügt) funktionieren für mich in "Das Geistervolk" und machen einen kleinen Teil des enormen Schadens wieder wett, den die Episode sowohl in Bezug auf Moral im 24. Jahrhunderts als auch Star Trek Wissenschaft (mal vom guten Geschmack abgesehen) anrichtet. Die letzten fünf Minuten, in denen Michael auf der Brücke erscheint und sich der Wirklichkeit bewußt wird, in denen er von Janeway durchs Schiff geführt wird und in welchen es letztendlich zu einer schönen, Star Trek typischen freundschaftlichen Übereinkunft zwischen den "Raumfahrern aus der Zukunft" und den Bewohnern von Fair Haven kommt, sind wirklich bemerkenswert und erinnerungswürdig, aber sie können 37 Minuten gezwungen wirkende, mit Unsinn angereicherte Komödie nicht ausgleichen.
Am Ende bleibt nur zu hoffen, daß "Das Geistervolk", wahrscheinlich Bryan Fullers schlechtestes Drehbuch, ein einmaliger Ausrutscher in dieser Staffel bleibt, und daß der Autorenstab daraus gelernt hat.
24.03.2001

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