"Inhumane Praktiken" hat die besten Voraussetzungen, die sich eine Star Trek
Folge wünschen kann - eine spannende, interessante Handlungsgrundlage, eine
eingeflochtene Diskussion über Ethik und Moral, ein erfrischende, weil ungewohnte
Atmosphäre durch die Einbeziehung der Cardassianer und Bajoraner von "Star Trek: Deep Space Nine" und überzeugende darstellerische
Leistungen, insbesondere durch die beiden "Herren Doktoren". Warum kann man dann
aber die Episode trotzdem nicht gerade als ein Highlight der fünften Staffel bezeichnen?
Meiner Meinung nach liegen die Ursachen dafür erstens - und das ist für Star Trek schon
bemerkenswert - in der Fehlerhaftigkeit der Autorenintention und der zugrundeliegenden
moralischen Basis selbst, die für den Zuschauer nie ganz nachvollziehbar ist, und
zweitens in der ungenügenden, inkonsequenten Umsetzung der Grundidee (wie es - leider -
in jeder Voyager-Staffel hin und wieder der Fall ist), was die Vermutung aufkommen läßt,
daß sich die Autorin Jeri Taylor selbst nicht ganz sicher war, ob ihr verfolgter
Gedankengang wirklich bis zur letzten Konsequenz radikal durchgezogen werden kann.
Ausgangspunkt der Episode ist die Bedrohung von B'Elannas Leben durch ein außerirdisches
Wesen. Die Prämisse wirkt gerade nach der letzten Episode "Das
Vinculum" (Sevens Leben wird durch ein außerirdisches Stück Technologie
bedroht), die ebenfalls wichtige Szenen in der Krankenstation enthielt, wenig originell,
doch geht "Inhumane Praktiken" schnell eigene Wege. Die Folge ist keine
Charakterepisode im eigentlichen Sinne - alle Figuren handeln aufgrund ihrer bereits
etablierten Ansichten und Motive, ohne daß eine Entwicklung beabsichtigt ist. Zwar spielt
der Doktor eine fundamentale Rolle, und B'Elanna ist das Opfer des "Käfers",
doch geht es in "Inhumane Praktiken" vor allem um eine moralische Debatte, wie
sie typisch für Star Trek ist. Diese wird entfacht, als der Doktor feststellt, daß er
nicht in der Lage ist, B'Elannas Leben zu retten, und dafür - so stellt es wenigstens die
Episode dar - einen Pakt mit dem Teufel schließen muß. Dieser "Teufel" zeigt
sich zu Beginn noch ganz harmlos im Schafspelz - das Hologramm eines berühmten
cardassianischer Exobiologen, der während der Besatzungszeit auf Bajor trotz der widrigen
Umstände eine Seuche heilen konnte. Doch der gefeierte Held und Wunderheiler entpuppt
sich als Reinkarnation des berüchtigten Dr. Mengele, jenes Nazi-Arztes, der im KZ
Auschwitz während des Zweiten Weltkriegs grausame medizinische Experimente mit Gefangenen
- angeblich zum Nutzen der Forschung - durchführte. Leider enden bei der Grundanlage die
Parallelen zwischen beiden Charakteren. Die Episode ist nicht in der Lage, den (echten)
cardassianischen Arzt näher und vor allem differenzierter zu charakterisieren und seine
tatsächliche Persönlichkeit zu erforschen. Die Nachforschungen der Crew in den
Föderationsdatenbänken liefern ja keine eindeutigen Bewertungen à la "Moset war
ein Wahnsinniger und Massenmörder", sondern lediglich abstrakte Zahlen und Berichte
- Lieferlisten, Nachrichtenmeldungen etc., welche von der Crew interpretiert werden. Somit
ist klar, daß auch das Hologramm allenfalls vage auf dem Cardassianer basieren kann, mal
davon abgesehen, daß sich alle Vorwürfe gegen Moset auf Indizienbeweise stützen. Crell
Moset bleibt also grundsätzlich undurchsichtig, und die Episode tut sich keinen Gefallen
mit der uneindeutigen Charakterisierung des auserwählten Antagonisten. Der einzige echte
Hinweis, der die Darstellung Mosets als "Dr. Mengele" wirklich untermauert, wird
durch den neu-eingeführten Bajoraner und Ex-Maquis Tabor gegeben, der persönlich durch
die Experimente des Doktors betroffen ist. Leider läßt auch Tabors Charakterisierung
eine gewisse Tiefe und Differenziertheit vermissen, mehr als bloße, unbändige Wut über
die "Wiederbelebung des Massenmörders" und eine Verzweiflungsreaktion, das
Quittieren des Dienstes, vermag der Charakter nicht wiedergeben, dazu wird ihm auch viel
zu wenig Zeit zur Entwicklung eingeräumt. Eigentlich dient Tabor nur dazu, die
Grausamkeiten Crells zu verifzieren und aus persönlicher Sicht "anschaulich"
darzustellen. Die gewisse Oberflächlichkeit in dieser Beziehung ist jedoch nicht das
Kernproblem der Episode - es ist die Gleichsetzung des Hologramms mit dem echten
Moset. Dabei ist dieses - das zeigt die Episode ebenfalls eindeutig - nicht mehr als eine
von Harry Kim mit bestem Gewissen erstellte Holomatrix, die allenfalls das medizinische
Fachwissen, die Methodik und gewisse rein beobachtungsmäßig festgestellte, also
subjektive Charakterzüge des echten Dr. Moset einbezieht (letzteres wird ja durch die
mehr als lückenhaften Aufzeichnungen und eine Bemerkung über die gezielte Vertuschung
solcher Kriegsverbrechen bewiesen). Wie das Hologramm selbst über das Monster in Crell
Moset sagt: "Es ist nicht Teil meines Programms. Ich habe keine Erinnerung daran."
Nun ist es nachvollziehbar, daß Tabor aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen und
traumatischen Erlebnisse emotional und irrational auf das Hologramm reagiert, und daß die
ehemaligen Maquis an Bord aus ideologischen Gründen gewisse, teilweise auch rassistische
Vorurteile gegenüber den Cardassianern hegen (B'Elanna wohl besonders, da Cardassianer
und Klingonen ja Todfeinde sind). Jedoch geht es der Episode hierbei wiederum nicht
um Charaktere und Beziehungen, sondern um die Darstellung und Diskussion der These:
"Man zieht Nutzen aus dem Leiden anderer, wenn man die Forschungsergebnisse von
Ärzten wie Crell Moset verwendet". Das Moset-Hologramm als Verkörperung der
Forschungen des cardassianischen Exobiologen ist damit der Hauptangriffspunkt der
Argumentation, welche die Dialoge, den Handlungsverlauf und die allgemeine Botschaft der
Episode entsprechend beeinflußt. Der Punkt ist: wenn der Zuschauer genannte These nicht
akzeptiert, erscheinen ihm auch die Handlungen und Argumente der Figuren als nicht mehr
nachvollziehbar und die ganze Geschichte damit als erzwungen und konstruiert. Da sie aber
nun mal der (intendierte) Kern der Episode ist, sollte sie - unter der Annahme, daß alle
Vorwürfe gegen den echten Moset wirklich war sind (denn sonst verliert die Aussage der
Folge jedes Gewicht) - hier etwas genauer unter die Lupe genommen werden.
Grundsätzlich ist es eine reine Frage der menschlichen Moral, keine Frage der Logik, ob
man "aus Blut gewonnene" Forschungsergebnisse zum Wohle der Patienten anwenden
sollte oder nicht. Tuvok will uns leider genau das weismachen und unterstellt sogar, daß
man mit der Nutzung von mittels inhumanen Praktiken gewonnen Methoden und Kenntnissen
quasi selbst eine "inhumane Praktik" begeht - und eine Mitschuld auf sich lädt,
dadurch, daß man die Methoden "anerkennt und damit zu weiteren unethischen
Forschungen einlädt". Betrachten wir die hier aufgebrachte, klassische Schuldfrage
aber objektiv, ist weder die rechtliche noch die moralische Legitimität anzuzweifeln. Ein
echter Gesetzesbruch würde erst vorliegen, wenn die genutzten Praktiken - unabhängig wie
sie entwickelt wurden - dem Patienten selbst einen Schaden zufügen würden. Hier bewirken
sie jedoch das Gegenteil: sie retten das Leben B'Elanna Torres. Dies klärt eigentlich
bereits die Frage nach der moralischen Schuld - die Handlung ist ethisch einwandfrei, da
hier das höchste Gut - das Leben - auf dem Spiel steht und eine Verletzung bestehender
moralischer Grundsätze als zulässig erscheint - solange dadurch keinem anderen Schaden
zugefügt wird, jetzt oder zukünftig, wohlgemerkt. Jedoch erscheint Tuvoks Hinweis
auf die Konsequenzen ebenso abstrakt wie die ganze Argumentation. Warum sollte eine
Anwendung dieser Methoden unter den gegebenen Umständen, mit dem bekannten Wissen, eine
weitere Forschung in dieser Richtung begünstigen? Es geht um den Schutz von Leben, und
damit ergibt sich die Anwendung aus einem Zwang, einer Notwendigkeit heraus. Statt der
Folgen der Nichtbeachtung des moralischen Dilemmas stehen doch wohl die Folgen der
Nichtbeachtung dieses Faktums im Vordergrund: der Tod eines Besatzungsmitglieds. Nun, was
wiegt schwerer - eine intakte Moral oder eine tote B'Elanna Torres? Es erübrigt sich zu
sagen, daß letzteres moralische Verletzungen (mal vom Hippokratischen Eid, der zum Schutz
des Lebens mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verpflichtet, ganz zu
schweigen) einer ganz anderer Dimension hervoruft. Medizinische Experimente an lebenden
Menschen sind wahrscheinlich das grausamste Verbrechen, das es gibt - es kommt einer
langsamen Folter gleich. Sind sie trotz alledem geschehen, muß mit aller Kraft
sichergestellt werden, daß sich niemals wieder vergleichbares ereignet. Doch ist dazu die
Ächtung der experimentellen Resultate der richtige Weg? Für die getöteten Menschen
kommt jede Hilfe zu spät, und die Früchte der inhumanen Forschungen nützen ihnen
natürlich nichts mehr. Doch anderen Menschen könnte damit das Leben gerettet werden, und
das ist eigentlich das einzige, was zählt (zumal der Würde der Opfer objektiv betrachtet
in keinster Weise geschadet würde). Eine Vernichtung der Forschungsergebnisse wäre
jedoch eine doppelte Strafe: für all jene Menschen, die sich eine Heilung erhofft haben,
und in gewissem Sinne auch für die Opfer. Ein weiterer Aspekt, den die Episode in Bezug
auf das vielgestaltige Thema "Inhumane Praktiken" einbezieht, ist das ebenfalls
klassische Dilemma um den ethischen Notstand, in den man gerät, wenn man zum Schutz des
einen menschlichen Guts (das Leben B'Elannas) ein anderes (das Leben des Außerirdischen)
opfern muß. Auch hieran ist nichts "inhumanes" im moralischen Sinne, da in
diesem Fall nur ein Leben gerettet werden kann. Welches Leben ist zu bevorzugen?
Diese berechtigte Frage bleibt in der Diskussion zugunsten der grundsätzlichen Frage nach
der Anwendung der mit inhumanen Methoden gewonnenen Erkenntnisse außen vor (natürlich
ist klar, daß die Crew B'Elanna den Vorzug gibt), obwohl doch das Überleben des Aliens -
ebenso wie B'Elannas - eine größere Rolle als die Moral spielen sollte.
Glücklicherweise ist sich zumindest der Doktor des Schutzes allen Lebens bewußt
und kann so letztendlich - durch die überlegte, menschliche Anwendung der
Methoden des Dr. Moset - B'Elanna und das Alien retten (in dem ganz ähnlich gelagertem
"Das verborgene Bild" wird ihm eine schwere und
grausame Entscheidung nicht mehr erspart bleiben).
Trotz des positiven Endes will Freude beim Finale von "Inhumane Praktiken"
aber dennoch nicht so recht aufkommen, da dieses jene Inkonsequenz, Unsicherheit und
Ziellosigkeit, die die ganze Episode charakterisiert, noch einmal in aller Deutlichkeit
wiedergibt. Die Geschichte spiegelt grundsätzlich eine Einstellung für die
Ächtung der genannten Methoden und Kenntnisse wider, doch die Entscheidung für die
Rettung von B'Elannas Leben um jeden Preis ist eine Ablehnung einer solchen Sichtweise.
Sie ist keine logische Konsequenz der Handlung und basiert auch nicht auf einem
allgemeinen Konsens der Crew; stattdessen wurde sie bei der Diskussion im Konferenzraum
durch Captain Janeway erzwungen. Natürlich ist dieses hartes Durchgreifen
("um die Moral kümmern wir uns später") aus ethischer Sicht richtig,
aber es bleibt weitestgehend unbegründet und damit aussagelos. Nicht nur das: die Crew
ist weitestgehend (bis auf Tom Paris) auch nach der Prozedur noch dagegen, wie sich in
B'Elannas Unverständnis und Wut und dem letztendlichen Entschluß des Doktors zeigt, das
Moset-Hologramm und "alle damit verbundenen Dateien" zu löschen. Letzteres ist
eine klare Folgewidrigkeit - man hat die Praktiken angewendet, weil man (bzw. Janeway) zu
der Erkenntnis gelangt ist, daß Leben schwerer wiegen, doch was ist mit zukünftigen
Notfällen? Das von Tuvok geforderte Beachten der Konsequenzen scheint hierfür keine
Gültigkeit zu besitzen - obwohl sich der Doktor ironischerweise erst durch diese Handlung
eine echte Schuld aufbürdet - wissentlich Informationen vernichtet zu haben, die einmal
Leben retten könnten, und damit den Hippokratischen Eid gebrochen zu haben (ein Faktum,
dem sich die Episode sehr wohl bewußt ist, da das Moset Hologramm den Doktor in der
letzten Szene damit konfroniert). Angesichts solcher Erkenntnisse ist es schwierig, der in
der Episode geführten Diskussion - so schwer sie ohnehin schon nachzuvollziehen ist -
noch Glaubwürdigkeit und Gewicht zuzusprechen. Anders als die typischen Star Trek
"Message Episoden" ist "Inhumane Praktiken" kein Musterbeispiel
menschlicher Moral, kein Sprachrohr für eine bestimmte Botschaft; der
Handlungsverlauf und das Verhalten der Charaktere lassen sie wankelmütig, wenn nicht
sogar heuchlerisch in ihren Ansichten erscheinen.
Letztendlich ist "Inhumane Praktiken" aber nicht viel schlechter als die
Vorgängerepisode "Das Vinculum", was eigentlich
trotzdem eine Herabsetzung ist, da diese Folge wesentlich ambitionierter ist und den
Versuch unternimmt, statt Action und Klischees Anspruch und Diskussion, eine gewisse Reife
zu bieten. Nur deshalb schätze ich die Episode insgesamt gesehen überhaupt noch als
"gut" ein; sie ist kurzweilig, unterhaltsam und spannend, solange man von einer
genaueren Prüfung der eigentlichen Aussageabsichten absieht.
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